Warum schreibt der Clown?

Woher nimmst du deine Ideen, deine Inspiration? Auf diese Fragen gibt das Foto hier Antwort. Es hängt über meinem Schreibtisch und inspiriert mich, jedes Mal, wenn ich es anschaue. Es ist für mich wie ein Guckloch in meine eigene Kindheit. Fast vierzig Jahre später gucke ich darauf und weiß genau, wie das Gefühl damals war. Ich rieche die Faschingsschminke, ich spüre das Jucken auf dem Gesicht, und weiß in derselben Sekunde, dass Jucken strengstens verboten ist, weil dann die Schminke verwischt (dieses Verbot hatte ich mir selbst auferlegt, weil ich schließlich ein perfekter Clown sein wollte). Ich weiß auch, dass dieser Kragen immer ein bisschen am Hals kratzte

 

und dass er Flecken von Schminke von Faschingsfesten aus den letzten Jahren aufzeigte. Tatsächlich bin ich wohl jahrelang als Clown gegangen, das war meine absolute Lieblingsverkleidung. Ich glaube, am liebsten mochte ich dabei meine rote Nase. Das hatte eine irre Faszination, jedes Jahr wieder, die eigene Nase in Rot zu sehen.

Was ich an diesem Bild ebenfalls liebe, sind die Augen vom Frosch neben mir, die Art und Weise, wie sie schräg von der Kapuze baumeln. Überhaupt: Wie genial ist die Idee, sich einfach Froschaugen und einen Kragen an seinen Lieblingskapuzenpulli zu nähen, um so den Faschingstag über in seiner absoluten Comfort Zone zu verbringen! Ich selbst habe die Kinder immer mit einigem Erstaunen beobachtet, die sich als Zirkustänzerin oder Ballerina verkleideten. Nie im Leben wäre mir das eingefallen, man war für alle so sichtbar – ganz zu schweigen von den Nylonstrumpfhosen im Winter! Meine Kindergartenfreundin neben mir hat das Problem mit der Schminke übrigens gelöst, indem sie scheinbar einfach die ganze Fläche mit leichtem Grün übergemalt hat, wahrscheinlich mit diesen tollen runden Schwämmen, die immer beim Schminkkasten dabei waren. So ein Grün verzeiht mehr als das feine Weiß des Clowns. Auch das also pragmatisch und kunstvoll gelöst.

Was noch? Ich fühle das leichte Frieren bei der Fotoaufnahme. Warum bei uns Faschingsfotos grundsätzlich draußen im Garten gemacht wurden, habe ich nie ganz verstanden. Lag es vielleicht an der poetischen Kulisse des abgerockten Gartentisches? Oder an der kargen Buchenhecke, deren vertrockneten Blätter zu dieser Jahreszeit immer so schön raschelten und die man so toll zwischen den Fingern zerdrücken konnten, weil sie fast in der Hand zerfielen?

Es gäbe noch einiges über dieses Bild zu sagen, ich könnte erzählen, was wenig später auf der Feier in meiner Grundschule passierte, dass meine Klassenlehrerin als Matrose kam. Und dass ein Junge mit blonder Perücke als Mädchen ging und meine Klassenlehrerin ihn mit den Worten „Oh, hallo Tina“ begrüßte, weil sie ihn mit mir verwechselt hatte. Ein verhängnisvoller Vorfall, der mir für mindestens eine halbe Stunde die Feier verdorben hat, weil ich den Jungen natürlich nicht mochte.

Das ist dann wohl das Rezept des Schreibens, das Elefantengedächtnis für Vergangenes, die ständig präsente Kindheit und die Freude, die ich auch heute noch beim Erinnern empfinde. 

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Kommentare: 7
  • #1

    Julika Hiersemann (Mittwoch, 13 Januar 2021 09:22)

    Das passt ja zum heutigen Mittag des Karnevals:
    Arbeiten statt feiern �....
    obwohl ihr ja schon damals Vorbildlich ward... draußen die Fotos wegen den aerosolen...

  • #2

    kristina (Mittwoch, 13 Januar 2021)

    Haha, das stimmt, unter dem Aerosole-Aspekt hatte ich es gar nicht betrachtet... muss der Karneval dann vielleicht doch nicht ausfallen dieses Jahr?!

  • #3

    Nici (Freitag, 15 Januar 2021 08:47)

    Liebe Tina, das war mal wieder eine sehr schöne Kaffeepause!! Ich sehe und fühle diese Faschings-Situationen jetzt auch wieder genau vor mir.
    Ich bin auch überzeugt, dass die genaue Beobachtung und Erinnerung von Situationen das Rezept von erfolgreichem Schreiben ist.
    Bei dir habe ich jedenfalls immer das Gefühl, du schreibst live 1982 aus der Flottbeker Drift. Total schön!!!

  • #4

    kristina (Freitag, 15 Januar 2021 08:49)

    Ha! Das freut mich ja total. Ja, ich hatte auch exakt dieses besondere Gefühl. Man hätte die rosa Blüten im Frühjahr noch erwähnen können oder das leise Rauschen der Osdorfer im Hintergrund. Danke!

  • #5

    Kristina (Freitag, 15 Januar 2021 10:45)

    Tolle Pauseneinlage! Danke! Auch wenn ich nicht dabei war, meine ich zu wissen wovon du sprichst! So lange her!

  • #6

    kristina (Freitag, 15 Januar 2021 10:47)

    Ja echt, aber irgendwie noch immer sehr live spürbar...Danke, Kristina!

  • #7

    Ludwig (Sonntag, 17 Januar 2021 10:41)

    Aus einer schönen Kindheit kann keiner einen rauswerfen