Wir alle blicken nach USA. Tatsächlich hat Corona seinen, seit Wochen sicheren Platz, an Top 1 der Nachrichten räumen müssen, denn berichtet wird nun auf den meisten Sendern als erstes über die Unruhen, den Demonstrationen gegen Rassismus, dem Aufschrei von Millionen von Menschen, die auf die Straße gehen. Und was machen wir von hier aus? Der allererste Schritt ist mit Sicherheit, sich selbst in die Augen zu sehen, nicht alles nur auf den Nachbarstaat zu verschieben, sondern zu überlegen, was in unserem eigenen Land für Ungerechtigkeit und Ungleichheit gegenüber Schwarzen herrscht, auch wenn wir das nicht wahrhaben wollen. Was kann jeder einzelne vielleicht im ganz Kleinen, in seinem Alltag tun? Man kann schwarze Bilder auf Instagram und Facebook posten, aber man kann auch – wie so oft im Leben, Hilfe bei der Literatur suchen. Mir fielen dann ein paar Bücher aus unserem Bücherregal in die Hand, die durchaus den Blick auf die Welt schärfen können und das nicht zuletzt umso ergreifender, weil zwei dieser Bücher Jugendbücher sind.
Es gibt zweifelsohne unzählige unglaublich begnadete Autoren, die ihre Geschichte erzählen, aber bei mir waren es Angie Thomas und Jason Reynolds‘ Bücher, die ich im letzten Jahr gelesen und meiner Familie und Freunden nahegelegt habe, weil sie mich nachhaltig tief beeindruckt haben. Im Jugendbuchbereich sind die Geschichten oftmals direkter, mehr auf den Punkt gebracht und bei diesen Büchern hatte ich so stark das Gefühl, während der Lektüre in die Haut der Protagonisten zu schlüpfen (soweit das vom gemütlichen Lesesessel aus möglich ist). Beeindruckend werden die Verkettungen deutlich, in der ein junger Mensch landet, einfach zunächst nur aufgrund der Tatsache, dass er dunkelhäutig ist. Wenn man es etwas erwachsener haben möchte, wartet Tayari Jones auf einen, mit einer unglaublich spannenden, ergreifenden Lektüre über ein junges Paar, deren Liebe droht zu zerbrechen, als Roy unschuldig ins Gefängnis gehen muss, weil er beschuldigt wird, eine Weiße vergewaltigt zu haben, der Schmerz, den er empfindet, zu einem Zeitpunkt, wo das ganze Leben scheinbar ausgebreitet vor ihm liegt, in den Knast zu wandern, seine zukünftige Frau und Seelenverwandte Celestial draußen zu lassen, ist fast nicht zu ertragen. Als ich dann letzte Woche den Film „Hidden Figures“, über die drei unglaublich intelligenten, lebensklugen und dabei bestechend humorvollen schwarzen Mathematikerinnen bei der NASA sah, die Anfang der 60er Jahre den Laden dort tüchtig aufgemischt haben und Momente so großer Hoffnung hatten, dass alles besser und gerechter werden könnte, blieb ich tieftraurig zurück. Auch wenn manch Schriftsteller, Mathematiker … ja, sogar Politiker es schafft, als Schwarzer Aufmerksamkeit und Ruhm zu erlangen, dann ist das doch so ein winzigkleiner Prozentteil von der ganzen Gesellschaft. Vielleicht haben wir einen kleinen Schritt getan, indem wir uns durch die Literatur in ein anderes Leben versetzen können, zumindest schult es unser tiefes Mitgefühl und Mitempfinden, wenn wir die zornigen Bilder auf dem Bildschirm an uns vorbeiflitzen sehen.
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Michael (Samstag, 06 Juni 2020 10:47)
Danke für den klugen Beitrag!
Frida (Samstag, 06 Juni 2020 23:16)
Ein wirklich sehr anregender und kluger Beitrag, vielen Dank! Ich lese gerade das empfohlene Buch „The hate u give „ sehr passend für die momentane Situation!!
Kristina (Sonntag, 07 Juni 2020 10:19)
Danke euch beiden! Ja, alle Bücher plus Film sind absolut empfehlenswert!!
Nicola (Sonntag, 07 Juni 2020 13:20)
Vielen Dank, Tina!! Mir fehlt davon nur noch der Film Hidden Figures und ich muss auch sagen, dass die Bücher einen extrem zum Nachdenken anregen und dazu, auch hier genauer hinzuschauen, wo die Mißstände sind.
ludwig (Sonntag, 07 Juni 2020 18:38)
toll geschrieben. Vor allem der Film "hidden figures" zeigt, dass es seit 60 Jahren kaum einen Fortschritt in der Rassenfrage gegeben hat.
Kristina (Montag, 08 Juni 2020 09:17)
Ja, und dabei waren die drei coolen Frauen so voller Ideen und Hoffnung, dass alles besser wird! Dennoch haben sie ja zum Glück bis ins hohe Alter einiges bewirkt und ihr Arbeit wurde honoriert und geschätzt!