Was wir vielleicht gelernt haben ...

Heute Morgen zum ersten Mal wieder auf dem Schulhof verabschiedet. Als wir das letzte Mal dort standen, trugen wir Winterjacken und waren in Vorfreude auf den Winterurlaub. Heute genießen wir einen herrlichen Frühlingsmorgen, an dem die Kinder sich wie selbstverständlich die Masken aufsetzen und durchs Schultor verschwinden. Was ist in der Zwischenzeit passiert? Wir, und damit meine ich die Menschen, die relativ unbeschadet aus der bisherigen Krise hervorgegangen sind. Auch wenn der ein oder andere finanzielle oder auch psychische Schrammen davongetragen hat, so sind wir doch im ganzen wohlauf und froh, manch einer vielleicht sogar zwangsentschleunigt oder zuweilen sogar erstaunlich geerdet und entspannt, dem Kern des Lebens näher. Und hier ist mein persönliches Fazit: was waren die letzten Monate für uns konkret? Das 1000 Teile Harry Potter Puzzle ist noch nicht geschafft ...

 

... dafür aber ist, zumindest ein Teil der Kinder, fit im Online-Unterricht. Sie haben eigene Filme für die Schule gedreht, Kindernachrichten selbst aufgenommen, Matheaufgaben online gelöst, viel gespielt, Zöpfe flechten gelernt und vielleicht auch kochen. Wir alle haben gelernt, als Familie auf engen oder nicht ganz so engen Raum zusammenzuleben – nicht nur für einige Stunden am Tag, sondern rund um die Uhr. Wir haben Toleranz und Selbstbeherrschung gelernt, gesehen, wo unsere Trigger und Schwächen liegen, aber vielleicht auch, wie wir damit mehr oder weniger erwachsen umgehen. Wir haben gelernt, wie wichtig die Sonne für uns ist, wie die ersten Frühlingstage im Park und im Wald riechen, vielleicht haben wir auch joggen oder irgendeinen Draußensport neu verfolgt. Wir haben gesehen, dass wir Bierflaschen doch noch mit dem Feuerzeug aufkriegen und Freunde draußen treffen einen ganz besonderen, irgendwie studentischen Reiz hat. Wir haben gesehen, dass es sehr lustig sein kann, die Eltern bzw. Großeltern zu sehen und dabei ein Zentimetermaß für die 1,5, Meter Abstand neben dem Kuchenteller liegen zu haben. Nicht gelernt haben wir bis jetzt, wie man zwischen zwei Bäumen die Slackline straff genug aufhängt und wo man am besten seine Aufladekabel vor den Mitbewohnern versteckt. Ich persönlich habe gelernt, dass man im Stadtparksee zwischen den Enten hervorragend schwimmen kann, aber nicht, wie man mit der Unruhe umgeht, die einen immer wieder befällt, weil man die Passivität nicht mehr erträgt und einfach wieder sein normales Leben zurückhaben möchte. Ich habe gelernt, wie man mit Online-Kinderlesungen Zuhörer erreichen und im Idealfall so für ein paar Minuten glücklich macht, wie man seine Arbeit als Autorin auf eine andere Ebene erhebt, wenn die Ideen fehlen, weil im Kopf zuviel wirr durcheinanderwirbelt. Wir alle haben gelernt, dass wir anpassungsfähig und flexibel sind, viel mehr als wir wahrscheinlich je gedacht hätten. Eigentlich eine gute Voraussetzung für die nächste Zeit, für alles, was da kommen wird. 

Kommentar schreiben

Kommentare: 5
  • #1

    Maren (Donnerstag, 28 Mai 2020 13:34)

    Vielen Dank für das schöne Fazit, Tina! Ja, es wirbelt einem viel im Kopf herum und trotzdem finden wir Wege, unseren Alltag zu leben. Das ist doch eigentlich ganz gut.

  • #2

    Kristina (Donnerstag, 28 Mai 2020 14:04)

    Danke, wie schön, dass Du es auch so siehst!!

  • #3

    Michael (Sonntag, 31 Mai 2020 20:30)

    Eine wirklich gute Sicht auf die letzten Wochen. Danke dafür!

  • #4

    Kristina (Montag, 01 Juni 2020 08:58)

    Sehr sehr gerne! Ich denke immer, man muss so oft es geht Dinge aus der Zeit festhalten, weil sie uns eines Tages so bizarr vorkommen wird, aber such als Tor zu etwas Neuem... Danke!

  • #5

    Nicola (Sonntag, 07 Juni 2020 17:02)

    Ich finde mich da auch sehr wieder!! Ich denke, wir werden uns noch bei vielen Themen fragen, warum wir das denn nicht in der langen, relativ ruhigen Zeit mal gemacht haben... dann muss man sich die Unruhe, die man hatte, auch wieder vor Augen halten als Erklärung, dass man eben nicht alle Projekte angehen konnte.